ADHS: GENETISCHES SCHICKSAL ODER ERGEBNIS SCHLECHTER ERZIEHUNG?
Was moderne Wissenschaft über die Ursachen von ADHS verrät
Nur wenige psychiatrische Diagnosen lösen so viel Diskussionen aus wie ADHS. Viele Menschen berufen sich gerne auf Aussagen des bekannten Neurobiologen Gerald Hüther. Dieser betonte in Interviews vor einigen Jahren die Ansicht, dass ADHS eher die Folge gesellschaftlicher Faktoren und moderner Lebensumstände sei (z.B. Medienkonsum, Stress oder auch Bedingungen des Schulsystems). Hüther schloss genetische Faktoren nicht aus, schrieb diesen jedoch eine eher geringe Bedeutung zu. Im englischprachigen Raum bezieht man sich häufig auf Dr. Gabor Maté, der ADHS Symptome als Folge von (frühen) traumatischen Erfahrungen sieht.
Ist ADHS in Wirklichkeit nur eine Modediagnose, ausgelöst durch moderne Lebensumstände oder Traumata? Oder beeinflussen doch hauptsächlich genetische Faktoren die Entstehung?
Die wissenschaftliche Forschung findet heutzutage ziemlich eindeutige Antworten auf diese Frage.
Familiäre Häufung von ADHS: Ein erster Hinweis
Kinder von Erwachsenen mit ADHS-Diagnose haben ein erhöhtes Risiko selbst ADHS zu haben. Dafür können nicht nur genetische Faktoren, sondern ebenfalls die gemeinsame Umwelt (oder beides zusammen) eine Erklärung sein. Schließlich geben Eltern nicht nur ihre Gene weiter sondern prägen ebenfalls den Familienalltag. Sie stehen möglicherweise chronisch unter Stress, haben belastende Erfahrungen oder Traumata erlebt und vermitteln ihre Ernährungs- sowie Bewegungsgewohnheiten an ihre Kinder.
Adoptions- und Zwillingsstudien: Gene im Vordergrund
Adoptionsstudien weisen darauf hin, dass genetische Einflüsse stärker sind, als die gemeinsame Umwelt (z.B. Erziehung oder Lebensstil). In Adoptivfamilien von Kindern mit ADHS zeigte sich kein erhöhtes Risiko für ADHS. Wäre die Umwelt der hauptsächliche Einflussfaktor, müsste man auch in der Adoptivverwandtschaft ein erhöhtes ADHS-Risiko erwarten.
Biologische Verwandte von Kindern mit ADHS zeigen dagegen ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst wenn sie nicht mit den Kindern zusammenleben.
Zusätzlich weisen mittlerweile mehr als 37 Zwillingsstudien auf eine durchschnittliche Heritabilität (Vererbbarkeit) von rund 74 % hin.
Die moderne Genforschung zeigt: eine Vielzahl von Genen trägt zu ADHS bei
Seit 2019 gibt es dank einer großen Genomstudie (kurz GWAS = Genome-Wide Association Study; deutsch: Genomweite Assoziationsstudie) handfeste Belege.
Forscher identifizierten über ein Dutzend spezifischer Genorte, die das ADHS-Risiko beeinflussen (Demontis et al., Nature Genetics). Jedes einzelne Gen wirkt nur minimal, aber in Summe ergeben sie einen deutlichen Einfluss. Man spricht von einer polygenen Störung. Die GWAS liefert direkte molekulare Beweise, dass ADHS genetisch mitbestimmt ist.
Einfach gesagt: Genetische Studien belegen, dass ADHS polygen ist. Das bedeutet, dass zahlreiche Gene mit jeweils kleinen Effekten zusammen zum Risko beitragen, dass eine ADHS entsteht.
ADHS hat eine komplexe Entstehung
Die Erkenntnis, dass ADHS genetisch bedingt ist, bedeutet nicht, dass Umwelteinflüsse komplett egal sind.
Sie können die ADHS-Symptome einerseits verstärken, im besten Fall jedoch auch dazu beitragen, dass die Genaktivität in eine günstige Richtung beeinflusst wird.
Früher Stress, Bindungsprobleme oder bestimmte Lebensumstände können die Symptome also verstärken. Mit geeigneten medikamentösen und psychotherapeutischen Therapien sowie durch Coaching lässt sich jedoch vieles ausgleichen.
Aktuelle Forschung zeigt, dass ADHS zu den am stärksten genetisch beeinflussten psychiatrischen Diagnosen zählt.
„Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine hoch vererbbare neuroentwicklungsbedingte Störung, von der bekannt ist, dass sie eine polygenetische (d. h. viele Gene mit jeweils kleinen individuellen Effekten) Architektur hat.“(1)
Wenn ein biologischer Elternteil oder ein Geschwisterkind ADHS hat, steigt das Risiko, selbst betroffen zu sein. Dennoch spielen auch andere Faktoren eine Rolle dabei, ob und wie stark die genetische Veranlagung tatsächlich sichtbar wird.
Die Gegenüberstellung „Genetik versus Umwelt“ greift deshalb zu kurz. Die Genetik liefert die Grundlage für eine Veranlagung zu ADHS während andere Faktoren, wie z.B. die Umwelt beeinflussen, wie die Veranlagung in Erscheinung tritt.
*Hinweis: Die Übersetzung ins Englische wurde maschinell erstellt und kann Fehler enthalten.
Quellen
(1) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33492530/
(2) https://www.nature.com/articles/s41380-018-0070-0
(3) https://www.researchgate.net/publication/326424329_Discovery_Of_The_First_Genome-Wide_Significant_Risk_Loci_For_ADHD
Bildquellen
Fateme Hosseini
Kelly Sikkema