Diagnose von ADHS: Schritte, Verfahren und Anlaufstellen in Deutschland

Wichtige Infos rund um Diagnostik, Symptome und Ansprechpartner*INNEN

Bei der Diagnose von ADHS können einige Symptome stärker auffallen als andere. Unabhängig davon, wie auffällig das Verhalten eines Erwachsenen ist, sollten Ärzte stets einem spezifischen Protokoll folgen, um ADHS und mögliche Fehl- oder Begleitdiagnosen korrekt zu erkennen.

Obwohl die diagnostischen Kriterien für ADHS bei Erwachsenen denjenigen für Kinder gleichen, zeigt sich das klinische Bild oft anders. Mehr dazu kannst du in meinem Artikel „ADHS im Erwachsenenalter“ nachlesen. Bestimmte Merkmale treten weniger deutlich hervor, und die Hyperaktivität rückt zunehmend in den Hintergrund. Stattdessen äußert sie sich eher in subtilen, unauffälligen Bewegungen, gesteigertem Bewegungsdrang und innerer Unruhe. 

Deshalb erfordert die Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter eine Anpassung und Übertragung der Symptome. Die Diagnostiker*innen müssen die typischen Anzeichen der ADHS so interpretieren, dass sie den spezifischen Herausforderungen und Verhaltensweisen im Erwachsenenleben gerecht werden.

Prozess der ADHS-Diagnostik im Überblick

Die Diagnose von ADHS wird von spezialisierten Psycholog*innen oder Ärzt*innen durchgeführt und umfasst mehrere Schritte: 

Anamnese: Ein ausführliches Gespräch über die medizinische Vorgeschichte des Patienten, einschließlich vergangener Verhaltensweisen, schulischer Leistungen und familiärer Aspekte.

Fragebögen und Skalen: Standardisierte Fragebögen und Skalen werden vom Patienten selbst ausgefüllt, um die Symptome systematisch zu erfassen. Wenn möglich, auch von Eltern, Lehrern, (Ehe-)Partnern.

Psychologische Tests: Intelligenztests und andere neuropsychologische Tests können durchgeführt werden, um die kognitiven Fähigkeiten und das Auftreten möglicher zusätzlicher Erkrankungen zu beurteilen.

Körperliche Untersuchung: Eine medizinische Untersuchung schließt organische Ursachen für die Symptome aus.

Differentialdiagnose: Andere mögliche Ursachen für die Symptome, wie Angststörungen, Depressionen oder Lernstörungen, müssen ausgeschlossen werden.

Das diagnostische Interview

Im Gespräch zur ADHS-Diagnostik werden die Symptome genau erfragt und mögliche alternative Diagnosen ausgeschlossen. Dazu wird der allgemeine Entwicklungsverlauf von der Kindheit an erfasst. Bislang ist ein Nachweis des Auftretens von Symptomen bereits vor dem 12. Lebensjahr unerlässlich. Außerdem wird der Verlauf der ADHS-Symptomatik und deren Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche festgehalten. Eine mögliche Einschränkung im alltäglichen Leben sowie negative Folgen für die Lebensqualität sollen ermittelt werden.
 
Ein wesentlicher Baustein des diagnostischen Gesprächs ist deshalb die „biografische Anamnese“, das heißt eine systematische Befragung zu deiner Lebensgeschichte, die besonders den schulischen und beruflichen Werdegang thematisiert, um die Auswirkungen der Symptome sowie die psychischen und sozialen Folgen zu erfassen.
 

Zusätzlich wird im Interview oft eine „Fremdanamnese“ (auch Fremdbeurteilung genannt) erhoben, bei der nahe Angehörige oder Partner befragt werden, um ein umfassenderes Bild der Symptomatik zu erhalten. Dies ist nicht nur besonders wichtig, da ADHS-Symptome in verschiedenen Kontexten unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Darüber hinaus müssen die Symptome in mehreren Lebensbereichen auftreten, also beispielsweise sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause sichtbar sein, was als „Pervasivitätskriterium“ bezeichnet wird.

Grundschulzeugnisse mit ausführlichen Leistungsbewertungen erweisen sich oft als wertvolle Informationsquelle. Sie können einen klaren Einblick in die kindliche Symptomatik geben und so die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter unterstützen.

Diagnosekriterien und Merkmale von ADHS im Erwachsenenalter

Im Mittelpunkt der Diagnose stehen die 18 Kriterien, die sowohl im DSM-5 als auch im ICD-10 definiert sind. Diese Kriterien gliedern sich in neun Merkmale zur Feststellung von Aufmerksamkeitsdefiziten und neun weitere Merkmale zur Bestimmung von Hyperaktivität und Impulsivität.

Auch werden standardisierte Fragebögen oder Skalen eingesetzt, um die Symptomstärke und deren Auswirkungen objektiv zu bewerten. So führte Paul Wender bereits im Jahr 1995 spezifische Kriterien auf, die auf eine ADHS im Erwachsenenalter hinweisen. Diese Kriterien sind heutzutage als „Wender-Utah-Kriterien“ ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik und betonen spezifische Merkmale und Verhaltensweisen, die bei Erwachsenen mit ADHS häufig auftreten. Sie erweitern und ergänzen die Diagnosekriterien aus ICD-10 und DSM-V. 

Zur Selbstbeurteilung eignen sich beispielsweise die CAARS-S Skalen (deutsche Version: Christiansen et al. 2014) oder die ADHS-Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB; Rösler et al. 2008). Um Symptome zu identifizieren, die bereits in der Kindheit vorhanden waren, wurde die Wender Utah Rating Scale (WURS) entwickelt. 

Für die Fremdbeurteilung kommen die CAARS-O Skalen oder die ADHS Diagnostische Checkliste (ADHS-DG) in Betracht. Im Gegensatz zu vielen anderen psychischen Erkrankungen stimmen Selbst- und Fremdbeurteilung bei erwachsener ADHS oft gut überein. 

Abschließend werden die bisherigen medizinischen Unterlagen und Berichte überprüft, um frühere Diagnosen, Behandlungen oder auffällige Entwicklungsmerkmale zu berücksichtigen. Ziel des Erstgesprächs ist es, eine fundierte Grundlage für die weitere Diagnostik und Therapieplanung zu schaffen.

Eine grafisch aufbereitete Übersicht der Wender Utah Kriterien zur ADHS Diagnostik bei Erwachsenen

Die ausführliche Differentialdiagnostik

Eine körperliche Untersuchung durch einen Arzt oder eine Ärztin ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Symptome nicht durch andere körperliche Erkrankungen verursacht werden. Erkrankungen und körperliche Ursachen, die ausgeschlossen werden müssen, sind:
 
  • Schilddrüsenerkrankungen
  • Anfallsleiden
  • Schädel-Hirn-Trauma
  • Hirnläsionen
  • Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Schlafapnoe-Syndrom
  • Anfallsleiden wie etwa Epilepsie
  • Mangelernährung
  • Medikamente (z. B. Antihistaminika, Barbiturate, etc., was die Konzentration negativ beeinflussen kann

Zudem ist gründlich zu überprüfen, ob ein Gebrauch oder Missbrauch von Medikamenten, Alkohol und anderen Substanzen vorliegt. Deshalb sind gründliche körperliche Untersuchungen, wie internistische und neurologische Check-ups sowie Blutuntersuchungen zur Bestimmung relevanter Laborwerte, grundlegend für die Diagnostik. Falls eine medikamentöse Therapie in Betracht gezogen wird, können weitere spezifische körperliche Untersuchungen erforderlich sein.

Psychische Erkrankungen, die ein Grund für Symptome sein können (oder möglicherweise gleichzeitig auftreten):

  • Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung
  • Suchtmittel-Missbrauch (inkl. nichtstoffgebundene Süchte)
  • Depression
  • Angsterkrankung
  • Tic-Störungen
  • Autismus

Anlaufstellen zur ADHS-Diagnostik

Spezialambulanzen für ADHS im Erwachsenenalter 

Bitte beachte, dass oft nur Patient*innen aus dem Einzugsgebiet der Kliniken untersucht werden können. Darüber hinaus sind einige Kliniken bereits ausgelastet und führen Wartelisten, die aber teilweise wegen hoher Nachfrage geschlossen wurden. Aktuelle Informationen dazu entnimmst du am besten der Website oder du rufst direkt in der Ambulanz an.
(Aktualisiert am 22.08.2024) 

BERLIN
Charité- Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin

BONN
Universitätsklinikum Bonn
Tel.: 0228 287 15732

DUISBURG/ ESSEN
Universitätsklinikum Duisburg/Essen
Tel.: 0201 7227 265

ERLANGEN
Universitätsklinikum Erlangen
Tel.: 09131 85 34597

FRANKFURT
Universitätsklinikum Frankfurt
Tel.: 069 6301 5079

FREIBURG
Universitätsklinikum Freiburg
Tel.: 0761 270 65500

HAMBURG
Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll
Tel.:040-181887-1644

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Tel.: 040 7410 53210

Keine Ambulanz, aber Diagnostik möglich:
MVZ Alstermed GmbH
Kritenbarg 7, 22391 Hamburg
Sprechstunde
Tel.: 040 / 636 692 80

Für Selbstzahler*innen:
Julia Reimers-Muthorst
Baseler Markt 18
Tel.: 0163-2149710

HANNOVER
Medizinische Hochschule Hannover
Tel.: 0511 5323185

LEIPZIG
Universitätsklinikum Leipzig
Tel.: 0341 9124304

LÜBECK 
Neuropsychiatrie Lübeck
(keine Ambulanz, aber Schwerpunktpraxis)
Tel.: 0451 70 69 58

MAINZ
Universitätsklinikum Mainz

MANNHEIM
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
Tel.: 0621 17032850

MÜNCHEN
Klinikum der Universität München
Tel.: 089 4400 53307

MÜNSTER
Universitätsklinikum Münster
Tel.: 0251-8356676

REGENSBURG
Universität Regensburg

SAARLAND
Universitätsklinikum des Saarlandes
Tel.: 06841/16-26350 oder -26353

TÜBINGEN
Universitätsklinikum Tübingen
Tel.: 07071 2982302

ULM
Universitätsklinikum Ulm
Tel.: 0731/500-61500

WÜRZBURG
Universitätsklinikum Würzburg
Tel.: 0931 201 77800

Quellen und weiterführende Links:

Literatur
Therapie psychischer Erkrankungen : State of the art 2024 / Ulrich Voderholzer (Hrsg.)
Therapie-Tools ADHS im Erwachsenenalter / Peter Kirsch, Nina Haible-Baer

Web
https://www.gesundheits-lexikon.com/Gehirn-Nerven-Psyche/ADHS-Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitaetsstoerung/Klassifikation